Samstag, 6. November 2010

Normalität

Jetzt habe ich es endlich geschafft, mein Vorhaben, meinen Blog ein wenig auf den neusten Stand zu bringen, in die Tat umzusetzen. Auch wenn hier eigentlich nicht so wahnsinnig viel Neues oder Spannendes passiert, bin ich einfach vorher nicht dazu gekommen.
Das mag daran liegen, dass ich mittlerweile nicht mehr jeden Tag den Drang oder den Wunsch verspüre, Kontakt nach Deutschland zu haben, sei es über E-Mails, Skype oder Facebook. Ich will die Zeit, die ich hier habe, nicht Stunde um Stunde im Internet-Café verbringen. Mittlerweile reicht mir auch ein Ab und Zu.
Von Tag zu Tag fühle ich mich hier in „meinem Ecuador“ wohler. Letzte Woche hat sich sogar das erste Mal ein richtiges „Zu Hause-Gefühl“ eingestellt. Ich bin nachmittags aus der Haustür herausgegangen, die Sonne hat geschienen, es war warm und ich habe mich rundum wohl gefühlt. Auf einmal war ich zu Hause!
Natürlich will ich auch weiterhin möglichst viel von dem mitbekommen, was in Deutschland momentan so passiert und ich freue mich jedes Mal riesig, wenn mich eine Nachricht aus der Ferne erreicht. Aber das Gefühl, mit einem Bein doch irgendwie noch in Deutschland zu stehen, habe ich jetzt nicht mehr. Nach fast drei Monaten (wow – wie die Zeit rennt!), bin ich endlich und ich würde auch schon fast sagen endgültig, hier angekommen. Und das fühlt sich wirklich gut an!
Mit der Sprache hapert es noch ein wenig. Zwar wird es immer besser und ich habe keine Probleme damit, zu verstehen oder mich zu verständigen. Dennoch fehlen mir ab und zu ein paar Vokabeln, was es mir dann schwierig macht genau das auszudrücken, was ich gerade sagen möchte. Manchmal ist das echt frustrierend und von Zeit zu Zeit denke ich, dass ich mit der Sprache nicht vorankomme. Wenn ich jedoch auf meine Anfänge hier zurückschaue, habe ich mich mit so großen Sprüngen verbessert, dass ich noch gar nicht mehr von mir erwarten kann. Aus diesem Blickwinkel sind es dann doch erst drei Monate.
Viel zu meinem „Zu Hause-Gefühl“ trägt der mittlerweile bis in den kleinsten Winkel meines Lebens eingekehrte Alltag bei. Vieles, was anfangs für mich komisch, gewöhnungsbedürftig, oder einfach nur „anders“ war, ist jetzt normal und ich wundere mich nicht mehr darüber. Vieles fällt mir sogar schon gar nicht mehr auf, wie zum Beispiel das ständige Gehupe der Autos (eine Hupe zählt hier eindeutig mehr als jede Vorfahrtsregel) oder die startenden und landenden Flugzeuge, die die Geräuschkulisse Quitos schon sehr prägen.
So ist es normal geworden, dass mein Tag nicht mit einem Frühstück, bestehend aus Brot, Marmelade, Käse, Cornflakes oder Ähnlichem anfängt, sonden entweder mit Reis oder einer kleinen Schüssel teuer gekauftem Müsli. Auch, dass der Bus jeden Tag dann kommt, wann er will und dass auch jeder Busfahrer in seinem eigenen Tempo fährt (ich habe nicht nur eine Achterbahn-Fahrt hinter mir) – wen stört das schon? So ist es eben. Es kann also passieren, dass ich morgens schon um 7:05 in der Schule ankomme oder auch erst um 7:30, obwohl ich jeden Tag um Punkt 6:30 an der Strasse stehe, um den Bus abzupassen.
Den morgendlichen Appell der Schüler, der entweder nur dazu dient, ein paar Ankündigungen zu machen, marschieren zu üben und ein bisschen Frühsport zu machen, oder natürlich auch um montags mit „voller“ Inbrunst und ohne begleitende Musik, mit wunderbar geraden Tönen die Nationalhymne zu singen, würde ich vermissen, wenn er plötzlich nicht mehr stattfinden würde.
Wenn Dinge manchmal (bzw. immer) nicht so laufen, wie sie ursprünglich einmal geplant waren – wenn sie überhaupt geplant waren – habe ich anfangs schon sehr deutlich gemerkt, dass ich „deutsch“ bin. Ich war enttäuscht wenn etwas nicht geklappt hat, oder habe unbedingt versucht Pläne einzuhalten, die andere offensichtlich schon längst wieder vergessen oder vertagt hatten. Doch mittlerweile sehe auch ich das sehr wackelige Konstrukt „Plan“ viel relaxter und habe aufgehört, mich darüber zu wundern, warum etwas nicht klappt, oder mich sogar darüber zu ärgern, wenn ein Tag in eine komplett andere Richtung verläuft, als es eigentlich vorgesehen war.
An was ich mich ebenfalls sehr gewöhnt habe, ist das ecuadorianische Essen. Ein Hoch auf die deutsche Esskultur und ein Nudelgericht ist schon was Tolles. Trotzdem: über eine Portion Reis, mit einer Menestra de Verde, einem leckeren, am Stück fritierten Fisch und einem großen Glas Jugo (am besten „de Mora“, oder „de tomate del árbol“) geht momentan einfach gar nichts! Und wer braucht schon Messer und Gabel zum Essen – was war das nochmal gleich? Der Löffel reicht dazu doch völlig aus.
Auch die Tatsache, dass der eindeutig sicherste Ort für mein Geld, mein Handy und meine Schlüssel mein BH ist, belustigt mich schon gar nicht mehr. Ich habe einmal schlechte Erfahrungen gemacht, die ich nicht noch einmal machen möchte. Also, wieso eine Tasche mitnehmen und somit Taschendiebe und Räuber anziehen, wenn es auch anders geht. Und so unbequem wie es sich anhört, ist es auch gar nicht.
Ich bin wirklich froh, dass es mir so leicht fällt, all diese neuen Dinge für mich anzunehmen, das macht es mir auch leichter, mich an Dinge zu gewöhnen, bei denen es mir schwerer fällt sie als „normal“ oder „alltäglich“ zu akzeptieren.
Sich daran zu gewöhnen, als Weiße in einem lateinamerikanischen Land zu leben, ist nämlich eindeutig schwieriger, als sich an die Unpünktlichkeit zu gewöhnen, oder daran, dass eben alles mit einem Löffel gegessen wird.
Es ist die eine Sache, größer als alle anderen zu sein – ich bin es nicht gewohnt mit 1,70m Körpergröße, in einem überfüllten Bus über alle hinwegsehen zu können – soweit ist es noch ganz lustig „anders“ als alle anderen zu sein. Eine andere und eindeutig unangenehmere Sache ist es, als „Gringa“ auf der Straße von einem Großteil der Männer, von Oben bis Unten begutachtet zu werden. Außerdem wird mir hinterhergehupt, hinterhergepfiffen oder hiterhergerufen. Ein „netter Herr“ wollte mir sogar vor ein paar Tagen ganz viele schöne Dinge kaufen – ein Glück für ihn, dass ich nicht darauf angesprungen bin. Er sah nämlich nicht so reich aus, als dass er mir all das hätte kaufen können, was er mir versprochen hat.
Ich bin mir sicher, dass viele auch einfach nur nett sein wollen, da es hier als höflich gilt, Frauen Komplimente zu machen. Angenehm ist es für mich jedoch trotzdem nicht.
Ein weiterer Nachteil weiß zu sein ist, dass ich als „Gringa“ einfach immer als reiche Touristin gelte. Zum einen bedeutet das, dass jeder Taxi-Fahrer das Geschäft seines Lebens wittert (Es gibt tatsächlich ein „Gringo-Taxímetro“, welches schneller läuft, als das für die Einheimischen) und mir unermüdlich „Taxi, Taxi, Taxi!“ hinterherruft, bis ich endgültig um die nächste Straßenecke gebogen bin. Andererseits wird die Tatsache, dass der „Gringo“ Spanisch spricht, prinzipiell nicht in Betracht gezogen. So musste ich schon des öfteren ausdrücklich darauf bestehen, dass der Kellner in der Bar, der Mann der die Bus-Tickets verkauft oder die Frau auf der Straße, die ich nach dem Weg gefragt habe, doch bitte auch auf Spanisch mit mir spricht.
All das sind Dinge, die mich zu Anfang sehr gestört haben und die mich teilweise sogar aufgeregt haben. Doch mittlerweile habe ich gelernt, diverse Dinge zu ignorieren oder sie einfach als gegeben hinzunehmen. Das macht vieles einfacher. Manchmal hilft auch schon ein nettes, aber bestimmtes Lächeln, um den lieben Herren auf der Straße zu verdeutlichen, dass mich ihr Gequatsche nicht im Geringsten interessiert.
Viele der Taxi-Fahrer die täglich an der Ofelia („mein“ Busterminal) stehen, kennen mich mittlerweile sogar schon und grüßen nur noch nett, anstatt mir ihr „Taxi, Taxi, Taxi!“ hinterherzurufen. Solche kleinen Erfolgserlebnisse, bringen mich immer wieder zum Lachen und vor allem machen sie mir deutlich: „Nein, du bist keine „Gringa“, die hier ihren Urlaub verbringt. Du lebst hier! So langsam hast du es kapiert und bald tun das auch die Schleimer auf der Straße!“

3 Kommentare:

  1. Liebe Julika,
    "Colada Morada"....gibt´s da ein Rezept? Könnte uns auch schmecken! Und wie heißt die wunderschöne orangefarbene Blume, die du fotagrafiert hast....? fragt
    deine Mama

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  2. Es una pena que aqui en Alemania no aiga Colada Morada, me hace siempre fata el 1 de nov . Saludos desde un lluvioso , gris y frio Remcsheid. Yolanda

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  3. Hey Julika..
    ich bin gerade mal ganz spontan hier gelandet um was aus Ecuador zu lesen und bin extrem überrascht wie ähnlich das doch Mexico ist! mir ist genau das gleiche passiert, als angebliche gringa (das ja eig auch nur die weißen und/oder blonden) aus den USA sind.. also sind wir tatsächlich keine ;)! auf jeden fall ist das in Mexico so!
    inzwischen bist du ja schon ne ganze weile da und ich lese ja, dass du dich schon gut eingewöhnt hast und das mit dem spanisch auch immer besser klappt!
    Entonces te deseo mucha suerte y mucho exito alla en querido latinoamerica haha
    disfruta de tu tiempo alla, regresando lo vas a extraniar mucho!
    cuidate!

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