Samstag, 6. November 2010

Schule...

Nachdem nun auch in meine Arbeit der Alltag eingekehrt ist – so ungewöhnlich und aufregend es zu Anfang war Lehrer zu sein, so normal ist es mittlerweile schon geworden – bekommen Dirk und ich auch immer mehr Einblick in das hiesige Schulsystem und wir merken, wie groß doch der Unterschied zu dem ist, was wir aus Deutschland kennen.
Nicht zu übersehen ist die miserable finanzielle Lage der Schule, über die ich ja schon einmal erzählt habe. Der Unterricht findet in viel zu kleinen, engen und oft auch sehr kalten Klassenräumen statt. Für den Sportunterricht fehlen jegliche Utensilien und auch zum Unterrichten anderer Fächer fehlt so einiges. So ist zum Beispiel das Einzige, das für den Musik-Unterricht zur Verfügung steht, ein CD-Player.
Aber nicht nur die finanzielle Lage der Schule, auch die Situation der Familien ist erschreckend. Selbst jetzt, nachdem das Schuljahr bereits über zwei Monate läuft, haben noch nicht alle Kinder die erforderlichen Schulmaterialien. Einige können sich noch nicht einmal Buntstifte leisten.
Für uns ist das gar nicht so leicht. Von den Lehrern sind wir angehalten, ganz normal zum Beispiel mit den Englisch-Büchern zu arbeiten. Das erleichtert uns vieles. Aber glechzeitig wird dadurch auch so einiges schwieriger. Die Kinder, die sich bis jetzt noch kein Buch leisten konnten, können auch im Unterricht und zu Hause keine Aufgaben im Buch machen. Das wiederum zwingt uns, schlechte Noten für nicht gemachte Hausaufgaben zu geben – wir bestrafen die Kinder quasi dafür, dass sie kein Geld haben um sich das Buch zu kaufen und das fällt uns wirklich nicht leicht.
Besonders schwer zu sehen war es, dass ein paar Kinder nicht mehr in die Schule kommen durften, nachdem ihre Eltern das Schulgeld nicht bezahlen konnten. Zwar waren wir im Vorhinein darauf eingestellt, dass wir in unserem Projekt keine deutschen Verhältnisse antreffen würden und auch, dass wir in einem sehr armen Stadtteil Quitos arbeiten werden. Dennoch kann man nicht wirklich auf das vorbereitet sein, was einen erwartet.
Aber gerade deshlab ist es umso bewundernswerter, welch eine Stimmung in der „escuelita“ herrscht. Der erste Eindruck ist zwar der einer armen Schule, dennoch strahlt sie eine Wärme und Freude aus, die es einem ermöglicht, sich sofort wohlzufühlen. Genauso ist auch das Lehrerkollegium und vor allem auch die Schüler. Man hat das Gefühl, dass es hier so etwas wie schlechte Laune nicht gibt. Es wird gespielt, gelacht und das Beste aus dem herausgeholt, was vorhanden ist.
Von Tag zu Tag lernen wir die Kinder besser kennen und uns wird deutlich, dass viele der Schüler aus schwierigen Familienverhältnissen stammen, aber auch sie strahlen eine Lebensfreude aus, die bewundernswert ist.
Es ist nicht immer einfach, aber wir haben mehr oder weniger gelernt mit dieser Situation umzugehen und es hat nicht lange gedauert, bis es uns einen riesengroßen Spaß gmacht hat, in dieser Atmosphäre zu arbeiten.
Was diesen Spaß jedoch von Zeit zu Zeit trübt, ist das zu Anfang angesprochene hiesige Schulsystem.
Mittlerweile unterrichten Dir und ich schon ab der 2. bis zur 7. Klasse Englisch und das jeden Tag. Das bedeutet von vornherein schon einmal, dass wir als unausgebildetet Lehrer sehr kreativ sein müssen, um die Schüler jeden Tag bei Laune zu halten und um einen Englisch-Unterricht zu gestalten, der einerseits abwechslungsreich aber auch effektiv ist (gar nicht so einfach bei spanischsprechenden Kindern, denen es wahnsinnig schwer fällt Englisch zu lernen – wir kommen gar nicht drum herum, alle behandelten Themen immer und immer wieder zu wiederholen). Das fällt uns nicht so leicht, aber in den höheren Klassen funktioniert das mittlerweile wirklich gut, da die Kinder groß genug sind, um einigermaßen zügig und erfolgsversprechend mit ihnen zu arbeiten.Bei den kleineren Klassen, besonders in der zweiten Klasse ist das dagegen sehr schwierig.
Um das einmal deutlich zu machen: Die zweite Klasse ist vergleichbar mit der deutschen Vorschule, die Kinder sind also gerade mal 5 Jahre alt. Dennoch haben sie ganz normal, wie auch die höheren Klassen, von 7:30 bis 13:00 fast durchgängig, mit nur einer halben Stunde Pause am Tag, Unterricht.
Sie müssen ruhig auf ihren Plätzen sitzen, zuhören und mitarbeiten. Wenn sie nicht diszipliniert genug sind, weren sie auf eine sehr autoritäre Art und Weise angeherrscht und zurechtgewiesen. Und in dieser Klasse, die abgesehen von ihrem Alter und der damit verbundenen Aufgedrehtheit und Unruhe noch nicht lesen und schreiben kann, sollen wir Englisch unterrichten. Wir bemühen uns viel mit ihnen zu spielen und zu malen, aber es ist trotzdem so, dass die zweite Klasse noch viel zu jung ist, auf diese Art und Weise unterrichtet zu werden. Das wäre in Deutschland einfach unvorstellbar und hier ist das ganz normal. Ich bin auch der Meinung, dass 5-jährigen Kindern noch nicht unbedingt mit aller Gewalt Englisch beigebracht werden müsste, zumal ich mir sicher bin, dass auch nur das wenigste hängenbleibt.
Das ganze ist schon manchmal ganz schön frustrierend. Besonders dann, wenn wir den Unterricht vorbereiten und uns partout nichts Neues einfällt, um den Unterricht ein wenig aufzulockern.
Generell ist uns aufgefallen, dass der gesamte Unterricht auf eine sehr autorotäre Weise geführt wird. Anstatt mit Geduld an die Sache heranzugehen – besonders im Umgang mit den eher langsameren Kindern – wird viel herumgeschriehen und mit Druck versucht sich durchzusetzen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was ich als richtig erachte. Dennoch wird von uns erwartet, dass wir uns dem Unterrichtsstil größtenteils anpassen. Ich glaube zwar, dass wir es ganz gut hinkriegen, eine gewisse Strenge und vor allem Autorität an den Tag zu legen und gleichzeitig auch einiges lockerer sehen, als die anderen Lehrer. Trotzdem könnte meiner „deutschen“ Auffassung von „effektivem Unterricht“ nach, hier vieles anders und besser laufen. Zum Beispiel auch im Bezug auf das Führen der Schulhefte.
Meiner Meinung nach sollte ein Heft zwar ordentlich geführt sein, dennoch kommt es auf den Inhalt an. Hier wird das ein wenig anders gesehen. Das „Äußerliche“, also die Heftführung ist eindeutig wichtiger, egal ob das Abschreiben eines kleinen Tafelbildes mal eine ganze Schulstunde dauert – der Lernerfolg rückt eindeutig in den Hindergrund, was meiner Meinung nach, nicht unbedingt der richtige Weg ist.
Auch wenn hier vieles ganz anders läuft, als wir es vielleicht erwartet hätten und auch wenn wir, die anderes gewohnt sind, gerne etwas verändern würden, haben wir gelernt und anzupassen. Denn meiner Meinung nach, wäre es falsch, als weißer „Extranjero“ in ein lange bestehendes System hineinzuplatzen, um dort herumzunörgeln und um zu kritisieren. Ich bin hier in einem anderen Land, in dem das, was ich als richtig erachte, nicht unbedingt auch als richtig erachtet wird. Hier bin ich der Gast, was eben ab un zu auch bedeutet, sich anpassen zu müssen und das ist schon okay so.
Denn obwohl es einiges zu kritisieren gäbe, ändert das nichts daran, dass ich meine Kinder von der 2. bis zur 7. Klasse liebe und ich mich jeden Morgen darauf freue, sie wiederzusehen!

3 Kommentare:

  1. Liebe Julika !

    Auch bei Deinen blog-LeserInnen scheint 'Normalität' einzukehren: Die Kommentare sprudeln nicht mehr so, wie am Anfang . . .
    Aber von mir eine Reaktion, weil mich Dein Bericht sehr bewegt hat. Denn es hat mich sehr beeindruckt, mit welchem Einfühlungsvermögen Du Deine eigene Situation und die Deiner 'Gastgeber' bedacht und beschrieben hast. Ganz genau so ist es (zumindest aus meiner Sicht): wenn wir auf diesem Globus irgendwie alle miteinander auskommen wollen, ohne uns gegenseitig mal wieder (wie schon so oft) den Schädel einzuschlagen, dann brauchen wir alle vor allem dieses Gespür für den Anderen und seine Situation. Erst dann können wir uns bewusst auf andere Lebensumstände und Lebenslogiken (oder Unterrichtslogiken) einlassen und selbst zurücknehmen, ohne uns zu verleugnen.
    Ich freue mich riesig, dass Dir das (meistens) gelingt und dass Du damit wirklich in Deiner neuen Lebenssituation 'angekommen' bist.
    Ganz liebe Grüße aus dem voll verregneten Remscheid, Dein Papa.

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  2. Hallo Julika,

    ich finde es toll, wie Du mit der oft schwierigen Situation in der Schule umgehst und bewundere Dich für Deine tolle Einstellung und Deinen Ehrgeiz!

    Es freut mich sehr, dass es Dir gut geht und dass Du nun das Gefühl hast zu Hause zu sein=)
    Ich hoffe, dass wir demnächst noch mal skypen können und wünsche Dir bis dahin alles Gute und weiterhin ganz viel Spaß;-)

    Ganz liebe Grüße nach Ecuador und machs gut!

    Deine Jessi=)

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  3. Hallo Jurika,
    warscheinlich kennst du mich gar nicht mehr, (ich war die letzten zwei Jahre in Altenberg mit dabei:)
    ich bin zufällig auf Deinen blog durch facebook gekommen und ich finde es toll wie Du hier darüber berichtest, was du alles in Ecuador
    erlebst. Jetzt sehe ich auch , wie ``verwöhnt`` wir Deutschen eigentlich sind!

    Noch weiterhin viel Spaß und Glück in Ecuador,
    viele Grüße Deine Navina

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